Atembetrachtung 2.0

Hast du schon eine Weile die Atembetrachtung geübt und suchst nach neuen Impulsen um deine Übung zu festigen und noch weiter zu vertiefen, dann ist dieser Artikel für dich gemacht. Die Atemmeditation kann auf viele unterschiedliche Arten durchgeführt werden. Zwar ähneln sich alle Übungen auf den ersten Blick sehr stark, aber im Detail und in der vertieften Praxis kann eine leichte Verschiebung des Übungsschwerpunktes einen enormen Unterschied in der individuellen Erfahrung für die übende Person bewirken.

Falls du meinen vorigen Artikel zur Atembetrachtung noch nicht gelesen hast, so empfehle ich dir an dieser Stelle zunächst zu stoppen und zuerst zu diesem Artikel zu gehen (einfach hier klicken). Dort habe ich die Übung zunächst in ihrer grundlegenden Weise erläutert und geschrieben, dass man in dieser Übung durchaus verschiedene Schwerpunkte setzen kann. In diesem Artikel möchte ich auf einige Arten der Variation genauer eingehen. Diese können hilfreich sein, die Konzentration in der Übung zu festigen, in eine tiefere Versenkung zu gelangen und so eine tiefere Erfahrung der Stille zu erleben.

Richte die Aufmerksamkeit zum Beginn der Übung wieder auf die Wahrnehmung der Atmung und die Haltung des Körpers. Zum besseren “Ankommen” kannst du zu Beginn etwa drei bis vier tiefe Atemzüge machen. Achte dabei darauf, dass du der Bauchatmung eine gewisse Betonung gibst und eine angestrengte Brustatmung weitgehend vermeidest. Lasse dann die Atmung zunächst wieder natürlich weiterfließen und überprüfe deine Körperhaltung. Dein Oberkörper sollte eine aufrechte und doch entspannte Haltung einnehmen, gerade das richtige Maß an Körperspannung. Die Hände und die Schultern sind möglichst locker, das Gesicht ist entspannt. Lenke die Aufmerksamkeit dann zur Atmung und nimm wahr wie der Atem hinein und hinaus strömt.

Die Vertiefung der Ausatmung

Ohne den Atemrhythmus zu verändern, gib der Atmung einen kleinen Impuls in Richtung Bauchatmung, sodass sie etwas stärker in Richtung Bauchatmung geht, als es von sich selbst aus geschehen würde. Nimm wahr wie der Bauch sich leicht hebt und senkt mit der Ein- und Ausatmung. Richte dann den Fokus auf den Bereich etwa 2 Fingerbreit unterhalb des Bauchnabels. Stelle dir dann vor, wie die Atmung beginnt sich in diesem Bereich weiter zu vertiefen. Beginne nun, die Ausatmung ein wenig tiefer und länger werden zu lassen. Übertreibe nicht, sondern gehe an dieser Stelle behutsam vor, damit du nicht nach vielleicht 5-6 Atemzügen das Gefühl verspürst dir “Luft machen zu müssen”. Lasse diese Verlängerung und Vertiefung der Ausatmung nur soweit gehen, dass sich der Atemrhythmus insgesamt noch stimmig und natürlich anfühlt.

Lenke nun bei jeder Ausatmung den Fokus auf den Endpunkt der Ausatmung. Dieser Endpunkt der Ausatmung, die du behutsam in die Länge ziehst und dadurch tiefer werden lässt. Mache dir bewusst, wie die Atmung jedesmal an diesem tiefsten Punkt einen kurzen Augenblick der Pause einnimmt. Ein kurzer Augenblick, in welchem die Atemaktivität an ihren natürlichen Endpunkt gelangt und kurz still steht. Zugleich nimm diesen kurzen Augenblick wahr in dem alle Geistesaktivitäten ebenfalls kurzzeitig zum Stillstand kommen. Atemzug für Atemzug versuche immer wieder genau diesen Punkt abzupassen und wahrzunehmen. Möglicherweise vertieft sich die Ausatmung dabei automatisch noch etwas weiter. Achte aber weiterhin darauf, diese Vertiefung nicht zu übertreiben, sodass der Atemfluss sich auch nach einer Weile immer noch natürlich und stimmig anfühlt. Versuche diese Art der Vertiefung eine Weile zu üben und mache damit deine eigenen Erfahrungen.

Konzentration auf Hara

Es ist an dieser Stelle z.B. auch möglich die Rolle des Hara stärker bzw. bewusster in die Übung einzubeziehen. Dies ist der genannte Bereich unterhalb des Bauchnabels und wird bei der gerade beschriebenen Übung automatisch miteinbezogen. Ein stärkerer Fokus auf diesen Bereich kann z.B. beinhalten, dass du eine noch stärkere mentale Konzentration oder sogar eine leicht erhöhte Körperspannung in diesen Bereich lenkst. Man kann sich auch vorstellen, wie sich hier immer mehr Kraft und Wärme sammelt. Eine allzu starke Ausrichtung auf diesen Schwerpunkt empfehle ich meist allerdings eher etwas später und möchte daher diesen Punkt an dieser Stelle nicht weiter vertiefen.

Individuelle Anpassung des Schwerpunktes

Die hier beschriebene Variation der Atem-Meditation kann dabei helfen die Konzentration zu verstärken und zu vertiefen. Diese Vertiefung kann deinem Geist ermöglichen eine tiefe Stille bis hinzu Erfahrungen der Leerheit des Geistes zu erleben. Diese Art der Meditation fordert deutlich mehr Anstrengung und eine stärkere innere Aktivitätsbereitschaft. Sie ermöglicht dir im Gegenzug aber auch eine etwas tiefere Konzentration und Versenkung zu erreichen. Letztendlich kann dies aber natürlich von Person zu Person unterschiedlich sein. Nicht alle Ansätze funktionieren für jeden Menschen gleich gut. Oftmals sind es die kleineren unscheinbaren – und oft sehr individuellen – Anpassungen in der Übung, welche den Ausschlag geben und hilfreich sein können.

In meiner eigenen mehrjährigen Praxis als Lehrer habe ich mehrfach die Erfahrung gemacht, dass eine kleine Verschiebung des Konzentrationsschwerpunktes oder der inneren Blickrichtung einen Unterschied wie Tag und Nacht bewirken kann. Nur kleine Variationen in der Übungsausrichtung, welche ich individuell für einige meiner Schülerinnen und Schüler eingebaut habe, haben ihnen dabei geholfen verschiedene Hindernisse oder Schwierigkeiten in der Übung schnell aufzulösen. Der extremste Fall bei einem meiner Schüler stand im Zusammenhang mit einer asthmatischen Krankheitsgeschichte. Sobald er sich zu sehr auf seine Atmung konzentrierte, traten teils sehr starke innere Beklemmungsgefühle auf. Mit nur kleinen, aber gezielten Variationen in der Übungsausrichtung, konnte ich ihm dabei helfen, die Atemmeditation für sich positiv zu nutzen und die negativen Gefühle in diesem Zusammenhang loszuwerden.

Versuche mit etwas Fingerspitzengefühl mit deiner Übungsrichtung zu experimentieren. Tausche dich, wenn es dir möglich ist, hin und wieder mit einem Lehrer in deiner Nähe aus, der dir dabei helfen kann, deine Übung oder deine Blickrichtung in der Übung so “zurecht zu biegen”, dass sie für dich und deine persönliche Situation Sinn macht. Welche Erfahrungen hast du mit dieser oder einer anderen Art der Vertiefung oder speziellen Schwerpunktsetzung in der Atemmeditation gemacht? Welche Ausrichtung hat dir geholfen?